Soziales Wohnen in vielen Facetten - LG Zug

Soziales Wohnen in vielen Facetten


History Points auf dem Areal

Text: Michael van Orsouw, Bilder: Archiv für Zeitgeschichte ETHZ

Titelbild: Heute eine Ortsbildschutzzone – das hervorgehobene Quartier Gartenstadt (Stadt Zug, Gestaltungshandbuch Gartenstadt, 2016)

In direkter Nachbarschaft der Landis & Gyr gab es sozialen Wohnungsbau, nämlich die Bauten einer Genossenschaft direkt auf dem Firmengelände sowie unterschiedliche Gebäudetypen in der nahen Gartenstadt. Bis heute hat sich dort die Struktur des durchgrünten Quartiers mit sozialem Wohnungsbau erhalten.

Die ersten Arbeiterhäuser auf oder neben dem heutigen LG-Areal entstanden 1910, also 19 Jahre bevor die Landis & Gyr an die Gubelstrasse umzog. Es war die Heimstättengenossenschaft Zug, welche von der Korporation 1200 Quadratmeter Land kaufte, mitten auf der Hertiallmend. Der Zuger Architekt Emil Weber, selber Mitglied des Genossenschaftsvorstandes, erstellte das erste Mehrfamilienhaus, zehn Jahre später nochmals zwei ähnliche Bauten.

Doch 1920 kam grosse Bewegung in den sozialen Wohnungsbau. Denn der Erste Weltkrieg, die Spanische Grippe, der Generalstreik und die wirtschaftliche Depression führten zu einer sozial sehr angespannten Situation, Historiker sprechen von dieser Zeit als einer «gesellschaftlichen Mehrfachkrise». So engagierte sich zuerst die Stadt Zug im Sozialwohnungsbau. 1919 bestellte sie wiederum bei Architekt Emil Weber eine Reihenhauszeile an der Hertistrasse (15, 17, 19, 21) sowie ein Mehrfamilienhaus. Die Reihenhäuser folgten der Gartenstadt-Idee aus England. Dort ermöglichten kleine Reihenhäuser mit grossen Gärten ein erdverbundenes, gesundes Leben, was ein grosser Kontrast zu den menschenunwürdigen Mietskasernen bildete: Die selbst gezogenen Kartoffeln sollten neben der Fabrikarbeit ein gutes Leben ermöglichen.

Um 1921: Die Feldstrasse führt noch buchstäblich als Feldweg ins Feld.

Auch die Gemeinnützige Baugenossenschaft folgte dem Beispiel aus England. Ebenfalls 1919 erwarb sie Land von der Korporation und nahm Doppeleinfamilienhäuser an der Gartenstadtstrasse (Nr. 5, 7, 9, 11, 13, 15) und am Fliederweg (1, 3, 5) in Angriff. Jeder Garten wies die grosse Fläche von 400 Quadratmetern auf, sodass man in der Tat von einer echten Umsetzung der «Gartenstadt»-Idee sprechen konnte. Damit das Gepräge des Quartiers nicht zu modern oder gar zu sozialistisch wirkte, verlangte die Stadt Zug bei weiteren Bauten das Aussehen von hölzernen Chalets. So bauten die Gemeinnützigen in der Folge heimelige Chalets am Fliederweg (2, 4, 6, 8, 10, 12) und am Nelkenweg (1, 3, 5, 7).

Doch neben Stadt und Baugenossenschaft war 1919 auch die Landis & Gyr in der Gartenstadt aktiv. Das mag einigermassen erstaunen, weil die LG-Fabrikationsstätte damals ausschliesslich an der weit entfernten Hofstrasse angesiedelt war. Doch das Gartenstadt-Quartier war damals das Entwicklungsgebiet der Stadt, insbesondere für den Arbeiterwohnungsbau. Um nicht als Landis & Gyr auftreten zu müssen und um zudem von den Subventionen für gemeinnützigen Wohnungsbau profitieren zu können, gründete LG-Besitzer Karl H. Gyr die «Bau- und Wohngenossenschaft zugerischer Arbeiter und Angestellter».

Faszinierendes Baugerüst: Das neu erstellte Gebäude an der Gartenstadtstrasse, noch unverputzt.
Bereits beim Gemüse: Die Neubauten grenzen an Wohnbauten mit grossen Gärten, in denen bereits das Grünzeug üppig wächst.

Die LG-Genossenschaft richtete richtig gross an: Sie wollte in der Gartenstadt auf zwanzig Hektaren eine «Wohnkolonie» mit 120 Wohnhäusern bauen und schrieb dazu gesamtschweizerisch einen Architekturwettbewerb aus. 92 Projekte gingen ein, sie trugen so sprechende Namen wie «Schweri Zyte», «Der Bahn na», «Zugergiebel-Kolonie», «Gartenteppich» oder «Die Verhältnisse machen den Menschen». Das Büro des Zürchers Hans Robert Beck belegte mit «Hofanlage» Platz eins. Er schlug 148 Häuser unterschiedlicher Grössen vor, durchsetzt mit vielen Grünflächen, einer Allee, einer Spielwiese und sogar mit einem Tennisplatz, was damals ein Elitesport war. Doch das Projekt sprengte die gewohnten Dimensionen, und in der Folge verkrachten sich Genossenschafter und Industrielle, sodass sich die Genossenschaft auflöste. Doch LG-Besitzer Karl H. Gyr übernahm das Projekt mit einem anderen seiner Vehikel, nämlich mit der 1918 gegründeten «Immobilien-Genossenschaft Zug», kurz IGZ genannt. 1921 baute diese IGZ nur einen kleinen Teil des Grossprojekts, nämlich eine lange Zeile mit Reiheneinfamilienhäusern an der Gartenstadtstrasse (4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 18, 20, 22, 24, 26).

Serielles Bauen: In den 1920er-Jahren setzt sich gerade im Sozialwohnungsbau standardisierte Bauweise durch, um Kosten zu sparen.

So entstanden nach und nach ganz verschiedenartig aussehende Liegenschaften des Sozialwohnungsbaus. Denn die Genossenschaften und die Einwohnergemeinde Zug ermöglichten in der Gartenstadt vergleichsweise günstiges Wohnen. In den 1950er-Jahren komplettierten Mehrfamilienhäuser das Quartier.

Aufnahme von 1950: Nach dem Zweiten Weltkrieg liess die LG dieses Mehrfamilienhaus in der Gartenstadt für ihre Belegschaft erstellen.
Um 1955: Die Liegenschaften der einstigen Heimstättengenossenschaft bilden einen Riegel gegen Norden.  

Allerdings bildeten die allerersten Bauten der Heimstättengenossenschaft nach dem Bau und dem Ausbau der LG-Fabrik den Abschluss des Fabrikareals, quasi einen Riegel gegen Norden. Deshalb kaufte die LG die Bauten 1936 mit der eigenen Genossenschaft auf. Als sich die Fabrik nach Süden und nach Westen nicht mehr weiterausbreiten konnte, mussten 1965 die Heimstätte-Bauten weichen, und der Weg für eine industrielle Weiterentwicklung des Areals nach Norden war wieder frei. Aber die Bauten westlich der Aabach- und der Nordstrasse im eigentlichen Gartenstadt-Quartier blieben zu einem grossen Teil unangetastet, sodass das Geviert noch heute den Geist des sozialen Wohnungsbaus von 1920 bis 1950 atmet. Ein Gang durch die kleinen Wege lohnt sich: Denn das Quartier ist sehr durchmischt, weil verschiedene Bauherrschaften am Werk waren. Da gibt es Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser, Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser, alle in einfacher Bauweise erstellt und mit viel Grün durchsetzt – eine richtige Gartenstadt eben!