Welthaltigkeit von Beginn weg - LG Zug

Welthaltigkeit von Beginn weg


History Points auf dem Areal

Text: Michael van Orsouw, Bilder: Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich

Die Landis & Gyr produzierte ihre Elektrizitätszähler für die ganze Welt. Um im Ausland Fuss fassen zu können, gründete sie in vielen Ländern Verkaufsbüros, Niederlassungen und Tochtergesellschaften. Das brachte mit sich, dass hier in der Zuger Konzernzentrale eine welthaltige Perspektive Einzug hielt.

Hier Spanisch, dort Englisch, da hinten Französisch, dazwischen Deutsch und auch Schwiizerdütsch – heute herrscht auf dem LG-Areal ein internationales Flair. Dieses knüpft an die Vorgeschichte des Gebietes an. Denn die Internationalisierung der Landis & Gyr begann schon früh. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) setzte der Elektrokonzern auf Niederlassungen und Tochtergesellschaften im nahen und zunehmend auch entfernten Ausland: zuerst mit Verkaufsbüros in Berlin, Mailand, Lyon, Prag, Paris und Moskau, aber auch mit Spezialwerkstätten in Wien, Berlin-Friedenau und dann 1912 mit einer Zählerfabrik im damals deutschen Elsass. Um aktiv Kunden anwerben zu können, gründete die LG eigene Tochtergesellschaften in Deutschland, Grossbritannien und Österreich. Wenn keine solche Tochterfirma möglich war, schloss man Verträge mit Partnerfirmen für den Vertrieb, so etwa mit «Siber, Hegner & Co.» für Japan. Diese musste beeiden, keine Apparate der Konkurrenz zu vertreiben. Schon damals setzte die Landis & Gyr 65 Prozent ihrer Produkte ausserhalb der Schweiz ab.

Internationale Patenturkunden: Um in vielen Ländern wirken zu können, meldete die LG ihre Zähler urheberrechtlich an.

Deshalb ging nach dem Ersten Weltkrieg die Expansion im Ausland unvermindert weiter: Es kamen Niederlassungen in Nordamerika und in Australien dazu. Fabriken entstanden in England, Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und so weiter. Zwischen 1956 und 1980 verstärkte sich – parallel zur weiter steigenden Exportquote – nochmals der Trend in Richtung Internationalisierung. Die LG wandte verschiedene Strategien an: Sie kaufte oder beteiligte sich an Fabriken und Verkaufsorganisationen und setzte auf Neugründungen von Landesgesellschaften. In diesen 24 Jahren kamen insgesamt 62 solcher Gesellschaften dazu!

LG-Werk in Sevilla im Jahr 1980: Bis heute hat der Konzern dort eine Niederlassung.

Dabei hatten die Auslandsengagements unterschiedliche Zwecke. Manchmal ging es um die Vermeidung hoher Zölle, ein anderes Mal um bessere Beschaffungsmöglichkeiten oder um die Vermeidung von Wechselkursverlusten. Zudem konnte die LG ihre Gewinne auf die verschiedenen Ländergesellschaften verteilen, was zu einer Steueroptimierung führte. Schliesslich spielte zunehmend auch der Arbeitsmarkt hinein: Im Ausland waren noch ausreichend Fachleute zu vernünftigen Löhnen zu haben.

Der wichtigste Grund für die Auslandtätigkeiten war der freie Marktzugang. Weil in vielen Ländern unterschiedliche Netzspannungen existierten und der Elektrizitätsmarkt von lokalen Anbietern dominiert war, musste die LG vor Ort produzieren, um «lokale» Produkte anbieten zu können. Sonst hätte sie keine Chance gehabt. Wichtig dabei waren auch lokal verortete Eich- und Reparaturwerkstätten.

1989 im italienischen LG-Werk Salerno: Frauen beim Eichen von Thermostaten.

Diesen vielen Auslandsaktivitäten entsprechend war die Landis & Gyr schon sehr früh eine international ausgerichtete Firma. Ihre Direktoren wiesen häufig Auslandserfahrung auf, und das Verkaufsdepartement war selbstverständlich schon seit dem ersten ausländischen Verkaufsbüro von 1908 global ausgerichtet. Immer wieder waren Gäste aus dem Ausland auf dem LG-Areal, einerseits interessierte Kundschaft, welche die Produktion kennenlernen wollte, und andererseits Vertretungen der Tochtergesellschaften und Verkaufsbüros.

Doch auch in der Produktion setzte nach 1945 ein richtiggehender Internationalisierungsschub ein. Dafür sorgten die Personalabteilungen, die schon damals gezielt auf Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter setzten. Um ausreichend Hilfskräfte für die personalintensive Produktion zu finden, holte die Landis & Gyr zum Teil mit firmeneigenen Bussen Menschen aus Italien, später auch aus Frankreich, Spanien, der Türkei und Ex-Jugoslawien. Ab 1955 führte die LG ein Arbeiterinnenheim, in dem Italienerinnen unterkamen. Man holte viele Berufsleute aus Deutschland, aber auch aus anderen, nördlichen Ländern. Die politischen Umstürze im Osten Europas führten dazu, dass 1956 Ungaren und 1968 auch Tschechen und Slowaken in die LG fanden.

LG-Italienerinnen im Jahre 1955: Sie frischten mit ihrer Art den Werkplatz Zug auf.

Zusammen mit den lokalen Vertretungen der Tochter- und Ländergesellschaften war die Landis & Gyr schon sehr früh ein international geprägter Konzern. Das zeigte sich beispielsweise in der Festschrift zum 50-Jahr-Jubiläum von 1946: Ganz selbstverständlich waren dort Beiträge auf Deutsch, aber auch auf Französisch, Spanisch und Englisch abgedruckt – in anderen Zuger Unternehmen wäre so etwas undenkbar und auch unpassend gewesen. Wenn heute von der globalen Wirtschaft die Rede ist, so sei in Erinnerung gerufen: Die Landis & Gyr war schon global ausgerichtet, als Globalisierung noch ein unbekanntes Fremdwort war! Während im direkten Umfeld des LG-Areals Bauern Gras für ihre Kühe mähten, die Bahnangestellten Güterzüge bereitstellten, Arbeiter im Gaswerk Kohlen schaufelten und Gewerbler ihre Schreinerarbeiten ausführten, verhandelten die LG-Leute mit ihrer Kundschaft und ihren Niederlassungen zwischen Bombay und Buenos Aires, Maribor und Melbourne, Shanghai und Santiago de Chile. Die lokal ausgerichtete Umgebung im Städtchen Zug stand im Kontrast zur globalen Ausrichtung der Landis & Gyr. So war der LG-Konzern mit seinem weltumspannenden Wirken quasi der Vorläufer einer frühen Globalisierung.

Titelbild: Die LG war auch in Nigeria aktiv – LG-Chef Andreas C. Brunner eröffnete 1982 dort eine Fabrik.