Arbeit will organisiert sein - LG Zug

Arbeit will organisiert sein


History Points auf dem Areal

Text: Michael van Orsouw, Bilder: Archiv für Zeitgeschichte ETHZ

Die Landis & Gyr war die mit Abstand grösste Arbeitgeberin der Region Zug. Deshalb war sie gefordert, Tag für Tag und pünktlich die mehreren Tausend Leute auf das Werkareal zu bringen. Dafür schaffte sie verschiedene Erleichterungen wie Sonderfahrten mit dem öffentlichen Verkehr, aber auch mehrere Zugänge auf dem Firmengelände.

Beim südlichen Zugang zum LG-Areal steht rechts ein in die Jahre gekommenes Häuschen aus den 1980er Jahren. Auffallend sind die grossen Fensterflächen gegen Westen, also zur Seite, wo die Menschen durchlaufen, die aufs oder vom Gelände kommen – heute sind häufig die Rollladen heruntergelassen. Es handelt sich dabei um das Portier-
häuschen, und die grosse Fensterfront bot einst den Portiers der Landis & Gyr den Überblick: Sie sahen von der Portierloge aus, wer wann auf das Gelände kam – und auch wer nicht kam.

Der Ausdruck Portier stammt vom lateinischen Wort Porta für Türe ab, aber der Portier einer Fabrik wie der Landis & Gyr hatte viel mehr zu tun, als eine Türe zu öffnen und zu schliessen.

Die ursprüngliche Portierloge im Jahre 1940: mit der Stempelkartenhalterung im Aussenbereich.

Bei der Landis & Gyr in Zug arbeiteten mehrere Tausend Menschen. Das Allzeithöchst war im Hochkonjunkturjahr 1964 und betrug für den Standort Zug 5769 Arbeitnehmende. Für heutige Verhältnisse ist das einfach eine grosse Zahl; doch damals bedingte dieses Volumen eine ausgeklügelte Organisation.

1971: Die Angestellten strömen nach Hause.

Damals gab es aufgrund der Arbeitsabläufe in der Fabrikation noch keine individualisierten oder gleitende Arbeitszeiten wie heute, geschweige denn Homeoffice. Vielmehr fingen alle Mitarbeitenden der Fabrikation zur gleichen Zeit an. Deshalb führte diese Arbeitsorganisation schon vor den Fabriktoren zu Massenaufläufen und Engpässen. Die Portiers bei den vier Pforten waren dafür zuständig, unberechtigten Personen den Zugang auf das Fabrikgelände zu verwehren, dazu stand ihnen das grosse Eisengitter mit einem Durchgang für Leute zu Fuss und einem für Fahrzeuge zur Verfügung. Man muss sich vergegenwärtigen, dass einst das ganze Fabrikationsareal umzäunt war – es hatte den etwas übertriebenen Übernamen «verbotene Stadt», weil nur das eigene Personal erwünscht war.

Mitten im nebligen Winter: die Portierloge Nord im Jahre 1973.

Die Portiers waren für die Triage zuständig. Angestellte hatten freien Zutritt, Besuchende hingegen mussten sich beim Portier melden, der dann allenfalls die Zuständigen in den entsprechenden Abteilungen kontaktierte. So kamen neben dem Empfang und der Zugangskontrolle weitere Aufgaben dazu wie Auskunftsbüro, Schlüsselaufbewahrung, Telefonzentrale (in Randzeiten und nachts), Feuermeldestation und so weiter. Die Portiers wussten über vieles im Betrieb Bescheid, was den meisten anderen in den Fabrikationshallen verborgen blieb. So konnte es immer mal von Nutzen sein, sich mit den Portiers gut zu stellen, weil diese entweder den Zugang zu Unzeiten ermöglichen oder Informationen zuhalten konnten… 

LG-Spezialbusse der ZVB hielten auf der Gubelstrasse: Dazu brauchte es keine Haltestelle! (Bild: Sammlung Oskar Rickenbacher)

Um möglichst einfach zur Fabrik zu gelangen, gab die Landis & Gyr ihrer Belegschaft vergünstigte Pendlerabonnemente ab. Zudem sorgte die LG mit Zuschüssen dafür, dass die Verkehrsbetriebe Frühdienste exklusiv für die LG-Belegschaft führten, ab 1915 bei den Trams der Elektrischen Strassenbahnen Zug, sodass etwa 100 Leute mit dem Frühkurs von Oberägeri nach Zug fahren konnten. Dafür bezahlte die Landis & Gyr 1200 Franken pro Monat. Auf der Linie Baar-Zug gab es bereits Zusatzkurse sowie zusätzliche Anhänger, die teilweise hoffnungslos überladen waren. Bei einer Stichprobe befanden sich 126 statt 56 Personen im Fahrzeug! Als 1955 im Kanton Zug das Zeitalter der Strassenbahnen nach Baar und Ägeri zu Ende ging, kamen die Busse zum Einsatz, wiederum waren darunter auch Spezialbusse nur für LG-Mitarbeitende, die auf der Gubelstrasse hielten – lange bevor es dort ZVB-Haltestellen gab.

Wir hatten dermassen moderne Apparaturen, dass wir mit der Polizei mithalten konnten.

Bernhard Leuthard-Bossard, ehemaliger Sicherheitschef bei Landis & Gyr
Die Alarmzentrale um 1989: sie galt damals als eine der modernsten weitherum. (Bild: Hans Bamert)

Doch allmählich änderte sich die Arbeitswelt. Erste Gedanken zur gleitenden Arbeitszeit in der LG datierten auf das Jahr 1968 – bis zur Einführung vergingen noch Jahre, aber damit war das Ende des massenhaften Eintreffens der Belegschaft eingeläutet. Auch die Aufgabe der Portiers wandelte sich mehr und mehr: Durch die schrittweise Öffnung des Fabrikareals nahm die Bedeutung der Concierge-Funktion ab, dafür wurde der Sicherheits- und Notrufaspekt wichtiger. 1985 war dann Schluss mit der Ära der Portiers: An seiner Stelle übernahm ein Wachtdienst mit 25 Personen alle Sicherheits- und Alarmierungs-
aufgaben. So bekamen die Portierlogen neue Pflichten und einen neuen Namen: Heute heissen die Häuschen «Alarmzentrale». Grundsätzlich fand ein Wandel statt. Anstelle einer Überwachung des Geländes stellte man auf die Gebäudesicherheit um. Zuvor gab es auf dem Werkareal keine Gebäudeschliessung und offene Lager von Rohstoffen oder sogar von Kriegsmaterialreserven; neu war das Areal mehr oder wenig offen, dafür waren jetzt die Gebäude gesichert. Deshalb wurde 1988 die Alarmzentrale neu errichtet und bestens ausgestattet: «Wir hatten dermassen moderne Apparaturen, dass wir mit der Polizei mithalten konnten», erinnert sich Bernhard Leuthard-Bossard, der 20 Jahre Sicherheitschef bei Landis & Gyr war. Wenn sich jemand an der Umzäunung zu schaffen machte, einen Sicherheitsschlüssel nicht zurückbrachte, ein Feuerchen entfachte oder wichtige Türen offenliess, ging sofort der Alarm beim Werkdienst los. «Unser System war topmodern», weiss Bernhard Leuthard, «wir hatten viel Besuch von anderen Firmen, die sehen wollten, wie wir das machen.» Als die Landis & Gyr ab 1989 Kinegramme für Banknoten produzierte, wurden die Sicherheitsstandards nochmals erhöht, mit noch ausgeklügelteren Systemen und Scheiben aus Panzerglas. Wenn beispielsweise einer der Wachleute einschlief, ging augenblicklich der Alarm los.

Die Rollladen sind heruntergelassen: die einstige Portierloge im Jahre 2023.

Heute sind das alles tempi passati. Zwar sitzen noch Sicherheitsleute der Firma Bouygues im einstigen Portierhäuschen. Doch sie überwachen von dort Dutzende von Parkhäusern und Liegenschaften in der ganzen Schweiz. Ein Teil der Einrichtung stammt von 1988, doch das meiste Equipment ist neueren Datums, und als Besucher kommt man sich mit den vielen Bildschirmen und Steuerungsknöpfen vor wie in einem Raumschiff.

Viele Bildschirme und Fernsteuerungen: Aus der einstigen Alarmzentrale werden heute Gebäude in der ganzen Schweiz gesteuert.

Der Autor dankt Hans Bamert, Bernhard Leuthard, Benno Moser und Jakob Widmer für ihre Hilfestellungen bei den Recherchen.