Neuer Standort beim Bahnhof - LG Zug

Neuer Standort beim Bahnhof


History Points auf dem Areal

Text: Michael van Orsouw, Bilder: Archiv für Zeitgeschichte ETHZ

Die Landis & Gyr platzte mit ihrer Elektrizitätszähler-Produktion an der Hofstrasse aus allen Nähten. Um in Zug bleiben zu können, setzte sie Druck auf: bei der Stadt, beim Kanton und bei der Korporation Zug – mit Erfolg! Schliesslich konnte sie das heutige LG-Areal direkt neben dem Bahnhof Zug erwerben, bebauen und bewirtschaften.  

Anfangs der 1920er-Jahre war die Landis & Gyr (LG) mit ihren 1100 Mitarbeitenden und diversen Niederlassungen ausserhalb der Schweiz zur dominierenden Arbeitgeberin in der Stadt Zug geworden. Doch die Produktionsräume an der Hofstrasse waren zu eng: Das Gesuch um weitere Aufstockungen der Gebäude lehnte der Stadtrat ab – hinter der Fabrik war am Oberwiler Kirchweg ein nobles Villenquartier entstanden.

Die Fabrik an der Hofstrasse war umgeben von Villen und einer Schule: Da blieb zu wenig Platz für einen Weltkonzern.
Ausbau an der Hofstrasse im Jahre 1915: Zusätzliche Erweiterungen waren aufgrund der Villen im Hintergrund nicht möglich.

Damit geriet die LG unter Zugzwang: Der Betrieb musste expandieren, wenn er auf dem Weltmarkt weiterhin mithalten wollte. Doch an der Hofstrasse waren den Ausbauwünschen Grenzen gesetzt. Also setzte die LG die Stadt Zug und die Korporation Zug als grösste Landeigentümerin unter Druck. Die LG wolle die unbebauten Grundstücke westlich und nordwestlich des Bahnhofs kaufen, sonst verlege sie den Firmensitz und die Produktion in eine grenznahe Stadt im Raume Basel, welche ihr 50’000 Quadratmeter Land mit Zufahrtsstrassen und Gleisanschluss gratis zur Verfügung stellen würde: Zudem könne die LG dort die Frachtkosten senken und bekäme nebst Steuerprivilegien noch billigeren Strom und Gas.

Das muss man sich plastisch vorstellen: Eine Weltfirma mit überseeischen Niederlassungen in New York und Australien balgt sich mit den lokalen Behörden um den richtigen Standort. Mehr noch: Die LG stellt klare Bedingungen, welche Stadt und Korporation Zug zu erfüllen haben. LG-Firmenleiter Karl H. Gyr war mit einem gesunden Selbstvertrauen gesegnet, sodass er die Vertreter von Stadt, Kanton und Korporation zu sich ins LG-Verwaltungsgebäude an der Hofstrasse vorlud. Am Dienstag, 16. August 1927, kamen alle Behördenvertreter zu Gyr. Diese wollten ihre Sichtweise kundtun, quasi die Zuger Perspektive beisteuern – schliesslich sei keiner der LG-Geschäftsleitung in Zug aufgewachsen und damit mit den Verhältnissen wirklich vertraut. Doch die Diskussion lief anders als erwartet. Der Industrielle Karl H. Gyr gab den Ton vor und kritisierte das mangelnde Entgegenkommen der Zuger Behörden. Zudem stellte Gyr konkrete Forderungen, die er geschickterweise als «Wünsche» titulierte:

  • Vom Kanton: Entgegenkommen bei den Steuern; bessere Strassen; Beeinflussung der elektrischen Strassenbahnen, um billigere Arbeitertransporte zu bekommen.
  • Von der Stadt: Revision der Einkommenssteuer; endgültige Festsetzung des Bebauungsplanes; Vermittlung bei den Liegenschaftskäufen beim Bahnhof; Erstellung der Strassen zum neuen Areal; Kanalisierung und Regelung des Grundwassers; Ausbau der Zufahrtsstrassen und Verbreiterung der Hofstrasse.
  • Von der Korporation: Landabtretung; Beihilfe zum Strassenbau; Lieferung von Kies; moralische Unterstützung.
  • Von der Strassenbahn: besseres Entgegenkommen.
  • Von den Wasserwerken: billigeren Strom.

Ein sehr eindrücklicher Forderungskatalog. Das «Gewerbeblatt» notierte dazu: «Ein Boshafter hat gemeint, Herr Dr. Gyr habe an dieser Konferenz im Verwaltungsgebäude der Firma den Behörden und damit auch dem Gewerbestand die Leviten gelesen.»

Karl H. Gyr (vorderste Reihe, dritter von rechts) mit den Zuger Behörden 1927: Er las den Herren die Leviten.

In den Lokalzeitungen erfolgte daraufhin eine kritische Diskussion unter dem Titel «Zur Frage der Industrievermehrung in Zug»: «Wem das Wohl und Wehe der Stadt und deren Zukunft am Herzen liegt, kann den Fragen der Zuwanderung oder Abwanderung der Industrie nicht gleichgültig gegenüberstehen. (…) Von diesem Entwicklungsgang aus ist die Industrie für unser Land eine absolute Notwendigkeit für die Existenz der überschüssigen Bevölkerung geworden.» Aber die Industrien sollen verschiedenen Wirtschaftszweigen angehören: «Ohne Zweifel ist es für eine Gegend am vorteilhaftesten, wenn die Industrien möglichst verschiedenen Branchen angehören und damit eine gewisse Risikoverteilung gegeben ist.»

Schliesslich kommt der Bericht auf den Punkt: «Doch dürfte fraglich sein, ob die Ansiedelung vollständig neuer Industrien für Zug erwünscht wäre. (…) bietet eine grosse Industriebevölkerung meist ein beunruhigendes Element für eine Ortschaft. (…) Vom Fiskalstandpunkt aus ist ein Betrieb mit einer grossen gelernten und daher besser bezahlten Arbeiter- und Angestelltenschaft einem Unternehmen mit vielen weiblichen Angestellten und Hilfsarbeitern vorzuziehen.»

Grund für die Skepsis ist «die unheimliche Angst vor den vielen zukünftigen Neu-Einwohnern, von denen man nicht weiss, wess’ Geistes Kinder sie sind und wohin sie sich bekennen».

Daraufhin kommt es zu den entscheidenden Abstimmungen: Am 30. Januar 1928 stimmt die Korporationsversammlung für den Landverkauf: 182 sind für den Verkauf des Landes und immerhin 106 dagegen. Die Korporationsbürger wollen der Drohung Gyrs nicht recht Glauben schenken: «Es sei Geflunker, dass die Firma von Zug weggehen wolle.» Weiter heisst es in der Diskussion: «Wenn man schon entgegenkommend ist, so kommt das nicht den Arbeitern und Angestellten der Firma zugute, sondern der Profit geht in einen einzigen Sack.» Gemeint war derjenige Gyrs.

Die Baustelle an der Dammstrasse: 1928 entstanden die neuen Fabrikbauten der Landis & Gyr.
Die Installation der Maschinen in den neuen Werkhallen an der Gubelstrasse: Sie wurden mit einem Elektromobil (ganz rechts) transportiert.

Auch der Einwohnerrat der Stadt Zug votiert für den Vertrag mit der LG, allerdings schweren Herzens: «Die Opfer, welche damit die Stadtgemeinde übernimmt, sind, speziell in Anbetracht, dass uns niemand eine Garantie geben kann, dass der Gemeinde infolge einer späteren Krisis in der Industrie nicht noch weitere, zurzeit gar nicht zu schätzende Ausgaben erwachsen können, sehr gross. Wenn wir trotzdem der Gemeinde empfehlen, dem Vertrage mit der Landis & Gyr die Zustimmung zu geben, so tun wir das, weil wir damit die gesunde Entwicklung unserer Gemeinde fördern möchten, und weil wir uns wohl bewusst sind, dass mit dem Stilllegen einer Industrie im Umfange derjenigen von Landis & Gyr A.-G. nicht nur die Gemeinde, sondern ebenso sehr der Kanton Zug in eine schwere Krisis verwickelt würden.» Die positive Haltung zeigt Wirkung: Der Vertrag wird am 22. April 1928 durch die Einwohnergemeindeversammlung gutgeheissen – und zwar einstimmig! Damit ist der Verbleib der LG in Zug gesichert. Das freie Land innerhalb der Gleisschleife wird zum neuen Fabrikterrain. 1929 zügelt die Landis & Gyr den Hauptsitz von der Hofstrasse an die Gubelstrasse – und legt damit den Grundstein für das heutige LG-Areal.

Die Fabrik 1930 im Grünen: Die Landis & Gyr an ihrem neuen Standort an der Gubelstrasse.