Veränderung als Programm - LG Zug

Veränderung als Programm


History Points auf dem Areal

Text: Michael van Orsouw, Bilder: Freiruum, Hermann Schärer, ETHZ

Heute ist der «Freiruum» als Ausgehmeile über die Region hinaus bekannt. Früher war der Ort namens «Fabrikbau B6» nur Insidern ein Begriff, dafür gingen die dort hergestellten Produkte der Landis & Gyr und später der Siemens in die ganze Welt.

Wenn man heute im «Freiruum» ganz selbstverständlich im industriellen Ambiente Menschen trifft und dazu spanische, amerikanische, thailändische oder italienische Küche geniessen kann, hat das historisch durchaus seine Berechtigung. Denn die einst in der Fabrikhalle hergestellten Geräte und Apparate der Gebäudeleittechnik gingen in viele Länder – das pralle Leben und die Internationalität haben hier also schon immer eine Rolle gespielt.

Entstanden war der Shedbau in der Hochkonjunktur zwischen 1954 und 1963, als die Landis & Gyr am Expandieren war und das ganze Areal zwischen Bahngeleisen, Feldstrasse und Gartenstadt allein nutzte. Ganz typisch ist das Dach des Shedbaus in der Form von überdimensionierten Sägezähnen. Damit war dank den dort eingebauten Fensterflächen gewährleistet, den natürlichen Lichteinfall von Norden zu nutzen und ohne störendes Blenden den Produktionsablauf zu erhellen. Zudem war diese gezackte Dachform statisch stabiler und benötigte weniger Stützen, was die Baukosten niedriger hielt und die Gestaltungs-
möglichkeiten im Innern vergrösserte.

1961: Der shedartige Fabrikbau im Westen des Areals

Architekturgeschichtlich ist interessant, wie sich in der Fassaden
gestaltung des Shedbaus bereits eine neue Zeit manifestierte: Der LG-Verwaltungsbau nebenan mit seinen Backsteinen und seiner wuchtigen Erscheinung entstand zwar nur ein halbes Jahrzehnt später, wirkt aber deutlich älter. Das hat damit zu tun, dass der Shedbau gestalterisch viel leichter und dank seiner Dachform fast spielerisch daherkommt. Das Amt für Denkmalpflege des Kantons Zug spricht von einer «durch die Aufbruchstimmung der Nachkriegszeit geprägten Leichtigkeit der 1950er-Jahre».

LG-intern hiess das Gebäude «Fabrikbau B6» und lag am Westende des Areals. Die etwas periphere Lage hing auch mit den dort produzierten Produkten zusammen: Es wurden Teile und Apparate für den Bereich Gebäudeleittechnik namens «Building Control» hergestellt. Lange war die Landis & Gyr die Fabrik der Elektrizitätszähler gewesen, deren Herstellung zentral auf dem Fabrikgelände angesiedelt war. Dagegen waren die Geräte für die Bereiche «Heizung, Lüftung, Klima» im Aufbau, eher am Rande des Areals platziert, aber sie sollten dereinst für die Zukunft der Firma stehen.

LG-Bereich «Building Control»: die Fertigung der Geräte für die Fernsteuerung (1958)
Fand hier in Fabrikbau B6 statt: die Montage von Temperaturreglern (1958)

Benno Moser, ehemaliger Mitarbeiter der Landis & Gyr und später Produktionsleiter der Siemens, erinnert sich gut an die Zeiten, als im «Fabrikbau B6» noch unter Hochdruck produziert wurde. Sein viertes Lehrjahr als Feinmechaniker FEAM verbrachte Moser im technischen Büro, das im Bau B6 auf einem Zwischenboden untergebracht war: «Wir haben dort gerne gearbeitet, weil die Lichtverhältnisse sehr gut waren.» Das charakteristische Dach mit den Fensterflächen wurde im Arbeitsalltag also durchaus geschätzt.

Bis zu 200 Personen arbeiteten in der Halle, sie stellten zum Beispiel die Leiterplatten, die Temperaturfühler, die Regler, die Ventilantriebe oder die Klappen für die Lüftungen her. Später, zu Zeiten der Siemens, kamen auch noch Brandmelder und Brandmeldezentralen hinzu, die zuvor in Volketswil hergestellt worden waren.

Auch dieser Fabrikbau erlebte ständig Umgruppierungen, Optimie-
rungen und Automatisierungen. Dabei wurden die einfachsten Arbeiten jeweils ins Ausland verlagert, sodass nur die Hälfte der Belegschaft im Fabrikbau angelernt, die andere Hälfte gelernt war. Benno Moser mochte diesen Arbeitsort und erwähnt noch einen weiteren Vorteil des Fabrikbaus: «Im Vergleich zu anderen Hallen war es im B6 nicht so laut, weil in den Dachschrägen lärmreduzierende Dämmungen angebracht waren.»

Ramponierte Sheddach-Konstruktion: Blick ins Innere vor dem Umbau 1992.
Umbau der Fabrikhalle 6B: Bagger tragen 1992 ganze Wände ab.

Nach dem strategischen Entscheid der Siemens, im Norden des LG-Areals an der Adresse Theilerstrasse 1B eine zentrale Fabrik zu erstellen, ging es an die Räumung des Fabrikbaus 6B. Am Schluss veranstaltete die Siemens für ihre Mitarbeitenden in der leeren Halle ein grosses Betriebs-
fest – und nahm damit die zukünftige Nutzung als «Freiruum» quasi vorweg.

Der Fabrikbau war schon früher ein Festort: Die
Belegschaft feiert, bevor der Fabrikbau erneuert wird.

Die Macherinnen und Macher des «Freiruum» gingen beim Einrichten der Eventräume vorsichtig und respektvoll mit den Hinterlassenschaften des Industriezeitalters um: Sie versuchten, möglichst viel industrielles Erbe zu erhalten oder sogar wiederherzustellen, sogenanntes Upcycling zu betreiben. So sind alte Fabrikuhren zu sehen, Industrieleuchten auch, die Markierungen der Fabrikbereiche A, B und C hängen noch an den Decken, die Abgrenzungen sind ebenso sichtbar wie die Beschriftungen auf den Böden.

Der Fabrikbau B6 ist zwar kein industrieller Produktionsort mehr, aber seine frühere Nutzung ist durch die vielen gestalterischen Zitate gut ablesbar – und macht die Faszination des heutigen «Freiruum» aus. So gefällt es auch ehemaligen Mitarbeitenden wie Benno Moser heute im «Freiruum», weil die industrielle Vergangenheit Teil der heutigen Nutzung ist. Moser ist zwar pensioniert. Aber mit einstigen Arbeitskolleginnen und -kollegen trifft er sich zweimal im Jahr, um an vergangene Zeiten anzuknüpfen – natürlich finden die Treffen im «Freiruum» statt.

Heute ein multifunktionaler Eventraum: der «Freiruum» mit seiner Markthalle ist einer der Anziehungspunkte auf dem LG-Areal.